Sonntag, 25. November 2018

3 Stunden in Gelsenkirchen & die Rückkehr als Millionärin







Sprecher: Christoph Collenberg
Ton: Kontrabass und Gespenst Piano



Mir haben schon einige gesagt: „Fahr da nicht hin.“ Ich bin trotzdem hingefahren. Es war Gelsenkirchen. Klingt eigentlich ganz schön.  Immerhin, es gibt Cola für 55 Cent, direkt am Bahnhof. Zieht man das Pfand ab, für 40. Steht auf dem Preisschild. Und tippt auch die Verkäuferin ein. Ich kann es nicht glauben. Ich kauf hier gerade ein für weniger als ein Euro. Das ist mir das letzte mal mit Lakritzschnecken passiert, da war ich acht und der Euro noch zwei Mark. Na gut, es ist Pepsi Cola und sie ist warm. Weil’s im Kühlschrank auch schon warm war. Aber Licht gab’s im Schrank. Vielleicht war’s auch nur ein Lichtschrank und ich hab das alles ganz falsch verstanden. Ohne Licht hätt ich vielleicht nicht erkannt, dass ich mir da gerade Pepsicola ziehe und wär' stattdessen an etwas anderes gelangt. Vielleicht an kalte Caprisonne. Scheint wieder sehr im Trend zu sein, die Caprisonne. Da laufen sie alle mit rum, am Bahnhof von Gelsenkirchen. 

Ich sitze mit meiner Pepsicola am Gelsenkirchener Busbahnhof. Ich finde, ein Busbahnhof zeigt den Charakter einer Stadt. Es gibt Busbahnhöfe, an denen man Lust bekommt, in die weite Welt hinauszufahren. Und es gibt Busbahnhöfe, an denen möchte man einfach nur zurück in den Geburtsschoß kriechen und warme Muttermilch durch Hautnäbel säugen. Das ist der Busbahnhof in Gelsenkirchen. Es ist ein heisser Tag und der Bass und eine Tasche ziehen an meinem Rücken. Eine Schar blasser Kinder zieht neben mir an einer noch blasseren Mutter. Die Kinder versuchen der Mutter das Sprechen beizubringen. Eine schwierige Aufgabe, denn die Mutter leidet an schwerer Legasthenie, Trotz oder einfach nur Denkmangel. Vielleicht würde das Vitamin C aus der Caprisonne hier helfen. Das blasse Mädchen sagt: „Mama, wo steigen wir aus?“ Die blasse Mutter sagt: „Das wirst du schon sehen.“ Das blasse Mädchen sagt: „Steigen wir Wetterstraße aus?“. Die blasse Mutter hat bereits gelernt, dass nicht nur Sprache, sondern auch Gestik und Mimik in menschlicher Kommunikation eine hohe Bedeutung besitzen, presst ihr Gesicht zusammen, beugt sich vor’s blasse Kind und zischt: „Das ist doch egal!“  „Mama, ich will doch nur nachgucken, wo wir aussteigen.“ sagt das blasse Kind. Jetzt quetscht die Mutter ihre Augen hervor. Ihr Gesicht wandelt sich zu einer ranzigen, trotzigen Pfirsich: „Das findest du eh nicht!“ Alles klar, hier wird wieder wild gedreht, für RTL. Ich schieb mich und mein Gepäck aus der Bildfläche. 

Mein Bus kommt von Steig 6. Steig 6 ist bekannt dafür, dass da am meisten gerotzt wird. Hier gab’s sogar schon mal Rotzüberschwemmung, 1993, doch danach wurde hier alles renoviert und seitdem gibt’s Gullis und Abwasserkanäle, nur für Rotze. Ich find das ist ne gute Einrichtung. Natürlich bekommt man auch trotzdem noch immer ein bisschen was ab, aber na gut, meine Güte, wir haben 30 Grad und die Pepsicola wird auch nicht kälter. Frisch berotzt steige ich an Steig 6 in die Linie 389. Mit mir eine kleine, mit Löckchen übersäte Frau, deren Mundwinkel fast bis zum Boden hängen. Sie hievt ihren Rollator und 5 Tonnen Alditüten mit in den 389. „Richtung Zelle?“, krächzt sie. Ich nicke. Sie setzt sich vor mich. Ich starr immer wieder auf ihre Mundwinkel. Gleich wird sie mich anmeckern. Aber stattdessen fängt sie an zu erzählen. Klar, man, wir sind Homies. Beide aus der gleichen Heimat, Steig 6, beide im selben Boot, 389, und beide schwer bepackt. „Ich wollt eigentlich heut morgen schon nach Zelle… Aber da… Da war meine Hornhaut zu dick. Sie wissen schon, an den Zehen.“ Klar, ich weiss Bescheid. Hab’s auch schon oft wegen meiner dicken Hornhaut nicht ins Bad geschafft. „Da musst ich die erstmal wegmachen lassen. Letztes mal hat mich das zwanzig Euro gekostet und wissen Sie, dieses mal ?“ Ich bin gespannt. „Dieses mal nur zehn!“ 

Mir wird schnell klar, dass die wirtschaftlichen Verhältnisse in Gelsenkirchen andere sind als woanders. 40 Cent für Cola, 10 Euro für Hornhautreinigung und sage und schreibe 50 Euro soll ich schließlich für meine Quarktasche bezahlen, als ich wieder zurück am Bahnhof bin und nach Hause will. Ganz kurz bin ich leicht empört. Doch dann lächelt die Verkäuferin mich an und sagt: „Und hier, eine Million zurück.“ 

Als ich aus dem Laden gehe, schaut mir jemand sehr aufdringlich hinterher. Ich schau zurück. Bin leicht pikiert. Er dreht sich noch mal um, starrt mich immer noch an. Noch bevor ich irgendwas denken kann, sagt jemand anderes für mich: „Komisch, ne?!“






Freitag, 23. November 2018

Eine Geschichte vom Meer







Sprecher und Ton: Eric Eggert



Sie haben das Meer auf die Straße geworfen. Es war das letzte, was sie auf die Straße geworfen haben und jetzt haben die Menschen endlich wieder Platz.

Vor ihren Häusern tummeln sich Straßenlaternen, Bauzäune und Sandberge, denn es ist Sperrmüllzeit. Manchmal ist es schwierig, sich von Dingen zu trennen. Aber irgendwann mussten die Leute einsehen, dass die Sandberge auf dem Wohnzimmerteppich nur den Weg zur Toilette behindern, dass die Bauzäune vor dem Kühlschrank stören, dass die Straßenlaternen Hauswände einreißen und Dachschäden provozieren. Doch sich von Dingen zu trennen bedeutet auch, alte Gewohnheiten aufzugeben. So wie Erwin zum Beispiel, der jeden Abend seinem Bauzaun noch einmal über die Drähte streichelte und ihn dann mit einer Markise zudeckte, bevor er zu Bett ging. Oder Mathilde, die sich nach ihrem abendlichen Bad noch eine Weile auf den Sandberg legte, der zwischen Tisch und Fernseher sein Dasein fristete. Nur Josef fühlte sich schon immer von seiner Straßenlaterne gestört. Viel zu hell, dachte er. Und immerzu brannte sie die ganze Nacht durch, obwohl er doch bereits um Mitternacht zu Bett ging. 

Im Fernsehen, vor dem meistens der Sandberg lag und den deshalb die meisten Menschen nur wie ein Radio benutzten, hörten sie von einem aktuellen Trend: Man solle sich von unnötigen Gegenständen und Dingen befreien, sagte der Fernseher. Und er sagte es nicht nur einmal. Er predigte von nun an jeden Abend, dass das Leben um so viel reicher, lebendiger und kreativer werden würde, wenn man nur einmal gründlich ausmistete. Das machte die Menschen neugierig. Sie schoben den Sandberg zur Seite und schauten sich den Film in voller Länge an. Hier sahen sie Menschen, die zwischen leeren Betonwänden lebten und sich von Porzellantellern ernährten. Die auf blanken Steinböden schliefen und sich danach unter Duschen stellten, aus denen kein Wasser mehr herauskam. Doch es waren glückliche Menschen. Das erkannte man daran, dass sie die ganze Zeit über lächelten und freundlich zu ihren Betonwänden waren. 

Die Menschen waren ziemlich beeindruckt von dem Werbefilm über ein leeres Leben. Und sie begannen zu überlegen, was sie hinauswerfen könnten, damit ihr Leben glücklicher, freier, vollkommener werden würde. Da man aufgrund der Bauzäune sowieso nur schlecht an die Glasvitrine kam, stellten sie die Vitrine als erstes auf die Straße. Danach kam der Wohnzimmerteppich an die Reihe, den man sowieso nie gesehen hatte, da auf ihm der Sandberg saß. Viel später, als sie den Werbefilm über glückliche Menschen schon sooft gesehen hatten, dass sie ihn auswendig mitsprechen konnte, stellten sie auch den Fernseher hinaus. Schließlich befanden sich nur noch die nötigsten Dinge im Haus: Der Sandberg. Der Bauzaun. Die Straßenlaterne. Auch wenn die meisten sehr fasziniert von dem Werbefilm waren, fiel es den Menschen schwer, sich von diesen letzten, grundlegenden Dingen zu trennen. Es dauerte Monate, Jahre, ja bei manchen sogar noch länger, bis sie es schafften. 

Doch irgendwann erreichte jeder den Tag, der ihm eine Zukunft zwischen leeren Betonwänden ermöglichen sollte. Es war der Tag des Sperrmülls. Und die Menschen taten sich zusammen, schoben die Bauzäune zum Fenster hinaus, schmissen die Sandberge vom Dach und rollten die Straßenlaternen die Treppe hinunter. Es war bereits spät und dunkel und die aus den Häusern geworfenen Straßenlaternen erhellten mit einem mal die Nacht. Die Menschen blickten plötzlich auf das weite sandige Feld, welches sich vor ihren Haustüren auftat. Ein endloses Feld, das bis an den Horizont reichte oder sogar über ihn hinauszugehen schien. So genau konnte man es nicht erkennen. 

Und mit einem mal kam ihnen ein verrückter Gedanke. Am Ende der Straße, im Haus Nummer 87,  wohnte etwas, das sich schon sehr lange nicht mehr hatte blicken lassen. Man munkelte, dass es dort in völliger Isolation, in Einöde und Dreck lebte. Dass es nur wenig Geld besaß, höchstens ein paar verrostete Münzen. Dass es manchmal verschwand, wenn es den Mond zulange angeschaut hatte. Dass es oft betrunken war und unter emotionaler Instabilität litt. Dass es mehr Platz wegnahm, als alle Straßenlaternen, Sandberge und Bauzäune der ganzen Welt zusammengerechnet. 
Das, was dort wohnte, war das Meer. 

Und genau an dem Abend, an dem die Menschen sich endlich selbst bereinigt und allen unnötigen Ballast hinausgeworfen hatten, spürten sie, dass sie nun auch noch diesen letzten Schritt unternehmen mussten, um sich endgültig frei zu fühlen. Sie taten sich zusammen und gingen zum Haus Nr. 87. Sie klopften nicht an, sondern sprangen ohne Vorwarnung durch die angelehnte Balkontür hinein. Und dann schmissen sie das Meer hinaus. Alles ging sehr schnell. Das Meer schlug eine kleine Welle, doch es war zu überrascht und konnte sich nicht ordentlich wehren. Minuten später lag es bereits vor dem Haus. Am nächsten Tag stand in allen Zeitungen, dass das Meer kein Geld mehr für die Miete gehabt und man es deswegen hinausgeworfen hätte. Dass diese Schlagzeilen eine blöde Erfindung von Klatschblättern sind, muss ich nicht extra erwähnen, mache es aber doch. 

Und so liegt das Meer heute vor den Sanddünen und Bauzäunen am Rande der Stadt, auf dem Platz, auf dem noch vor kurzem die große Einöde herrschte. Des Nachts wird es oft von einer Straßenlaterne beschienen. Und manchmal, wenn der Mond es ruft, verschwindet es. Doch am nächsten Morgen liegt es wieder vor den Sandbergen und Bauzäunen, als wenn nie etwas gewesen wäre. 






Foto: Bauzaun





Montag, 19. November 2018

Der Prinz aus Abu Dhabi


Du lässt deine Bierflasche ein paar mal vor uns auf den Boden fallen und hebst sie wieder auf. Danach präsentierst du uns ihren unversehrten Zustand wie ein Zauberkünstler. „Seht ihr, Plastikbier ist viel lukrativer als das Gesöff ausser Glasflasche!“, sagst du. Es ist spät und der Weg von Wuppertal nach Düsseldorf kurz. 

Du bist wahlweise Polizist, Nachtwächter oder Puffbesitzer. Jedenfalls irgendetwas, für das man nachts arbeitet. Aber eigentlich wärst du lieber ne Frau. Ne sexy Frau, die über die Kö läuft und sich bei ihrem Prinzen aus Abu Dhabi einhakt. Wenn Angela Merkel sagt, dass wir das schaffen, fragst du dich, wer sind wir, und was ist das. Dann redest du französisch. Sagst, dass du aus Polen kommst. Als uns Düsseldorf erwartet, liegen deine Geschichten auf dem Boden. Du sammelst hektisch alles ein, hebst deine Hand zum Gruß und rennst zur Tür. Auf dem Gleis wartet der Prinz aus Abu Dhabi auf dich. Es gibt Plastikbier und das Ende des Tages. 





Samstag, 27. Oktober 2018

Dortmund. Das Steinschwein und der Jüngling unter der Zeche.



Ich wollte eigentlich nach Münster. Aber dafür war ich zu spät dran. Ich nehme einfach den nächsten Zug. Der fährt nach Dortmund. 

In Dortmund ist es ein bisschen so wie in Usbekistan. Es gibt jede Menge Bankautomaten, die aber alle kein Geld ausspucken. Der Bankautomat denkt, ich hätte meine Karte falsch herum in ihn hinein gesteckt. Dass ich schon einiges an Erfahrung in diesem Gebiet mitbringe, glaubt er mir nicht. Ich möchte ihm gerne mein Abizeugnis oder irgendetwas anderes zeigen, was noch nie jemand sehen wollte. Ich habe noch 1 Euro 32 in meiner Hosentasche und eine kleine Taschenlampe. Da ich als Touristin in Dortmund ein paar wirtschaftliche Pflichten zu erfüllen habe, investiere ich das Geld in Ein-Euro-Eis. Es ist jetzt Herbst aber in Dortmund ist die Hölle los. Es gibt eine Einkaufsstraße. Wenn die Deutschen aussterben, dann nicht hier. Vielleicht in Soest oder in Weilerswist. Die Geburtenrate im Dortmunder Primark ist jedenfalls hoch. Primark wirft Menschen. Und atmet sie danach wieder ein. Ich möchte nicht in einem Dortmunder Primark reinkarniert werden. Ich rufe bei der zugehörigen Stelle für pränatale Angelegenheiten an um das alles zu regeln. Eine freundliche Mitarbeiterin am anderen Ende der Leitung weist mich darauf hin, dass ich schon mitten drin sei im Leben und sie aus diesem Grund für mich nicht mehr zuständig sei. Bei weiteren Fragen solle ich mich ab jetzt an Finanzämter oder Elektronikmärkte wenden. Ich fühle mich hilflos, aber erwachsen. Ich glaube das gehört zusammen. Ich hätte gerne noch ein Ein-Euro-Eis. 

Ich entfliehe der Straße des Todes und steige in eine Bahn ein. Sie fährt ein paar Stationen unterirdisch, dann zischt sie wie eine Rakete in die Stratosphäre der Dortmunder Zechennostalgik empor. Ich habe mir vorgenommen, mit niemandem zu sprechen. Ausser mit diesem braungelockten Jüngling vor mir, der sich gerade eine Kippe dreht. Er ist der einzige weit und breit. Ich laufe erst einmal an ihm vorbei, bevor ich ihn anquatsche, denn ich bin schüchtern. Dann frage ich ihn, ob das hinter ihm eine Zeche sei. Er sagt ja. Und dreht seine Kippe. Ich frage ihn noch irgendwas, denn ich kann ja jetzt nicht einfach gehen, wo wir schon so mitten ins Gespräch vertieft sind. Er sagt noch mal ja. Meine Güte, dieses Gespräch ist sehr eifrig. Schon wieder bin ich dran. Mir fällt langsam nichts mehr ein. Aber unhöflich sein ist auch blöd. Ich frage noch etwas. Er schaut weiter auf seine Kippe. Plötzlich blickt er mich an, zeigt unerwartet auf den Turm hinter ihm und fragt: „Möchten Sie da hoch?“ Er hat mich gesiezt. Das macht man hier so in Dortmund. Vielleicht gehört er mit der 1984 stillgelegten Zeche hinter ihm und den zwei Quadratmetern um ihn herum aber auch einem ganz anderen Kulturkreis an. Noch vor einer hundertstel Sekunde bin ich davon ausgegangen, dass der Braungelockte und ich miteinander alt hätten werden können. Jetzt weiss ich, dass das nicht geht, weil ich bereits alt bin. Ich leuchte ihm ein bisschen mit der kleinen Taschenlampe in die Augen, nur so zum Spaß. Er fragt: „Warum tun Sie das?“ Obwohl ich Dinge tue, die man als Zeichen unserer Vertrautheit untereinander interpretieren könnte, siezt er mich noch immer. Ich verstehe, dass es mit uns vorbei ist, bevor es angefangen hat und gehe. 

Ich gelange in ein totes Viertel. Hier gibt es verrammelte, verlassene Bäckereien, Metzgereien, Kioske. Mehrere Waschmaschinen, die am Straßenrand auf ihren Lebensabend blicken. Drei schiefe Banken, davor Müll. Das einzige, was noch relativ lebendig geblieben ist, ist ein Steinschwein. Ich setze mich mit dem Steinschwein in den Schneidersitz. Da das Steinschwein nicht so gut im Schneidersitz sitzen kann, kippt es um. Ich sitze neben dem umgekippten Steinschwein im Schneidersitz und blicke zurück auf meinen Lebensabend in Dortmund. Es war sehr schön. Jetzt ist es Zeit zu gehen. 






    Foto: die vierte Bank
 Protagonist*in: der siebte Wagon




Dienstag, 2. Oktober 2018

herbstanfang

herbstanfang, 
flüstern die bäume und
dachten es fallen 
nur ein paar blätter,
wie immer. 
erinnerung daran, wie du strahlst.
wir stehen in der küche und sind uns einig darüber dass die 
vegane suppe hier sehr gut ist.
du erzählst von deiner reise.
verwundert, dass wir uns hier treffen.
hier, warum hier?
achso ja klar, du kennst den und ich kenn sie und überhaupt.
völlig logisch, dass wir uns hier treffen. 
und weisst du noch?
ja klar weiss ich.
komm wir schauen uns um,
gucken ob was passiert 
fernab der suppe.
damit irgendwann viel später 
wieder alles so ist wie am anfang: 
weisst du noch?
du, lachend neben mir mit dem weinglas in der hand,
hey willst du auch?
sagst du 
und kurz denke ich darüber nach,
wie witzig es wäre sich jetzt hier mit dir 
zu betrinken
wenn ich nicht.. dies und das und überhaupt. 
aber wir sehen uns bald
bestimmt
sagen wir
zueinander
und glauben daran
wie man das so macht
im leben
wenn nichts dazwischen kommt. 

r.i.p. steffen




Sonntag, 16. September 2018

Flugbereitschaft


Flugbereitschaft ist fast immer, aber nur selten birgt sie den Anspruch, dass wirklich etwas passiert. 

Wir machen einfach weiter und tun so, als ob nichts wäre. Manchmal erinnern wir uns daran, dass wir eigentlich Bereitschaftsdienst haben. Wir erzählen es den anderen, unnötig, denn hier sitzen alle im gleichen Boot. Und trotzdem sind die anderen für einen Moment überrascht. Fühlen sich an etwas erinnert, da sie zu den Glücklichen gehören, die bereits vergessen haben. Dann machen wir weiter Musik oder so. Gehen gegenüber Linsensuppe essen, da wo es  immer zu teuer ist, weil es sonst in der Ecke hier nichts gibt. Holen uns einen Kaffee im Supermarkt. Wir haben viel vor. Machen Pläne, während wir Kaffee trinken. Ab und zu schauen wir auf unser Handy. Zum Glück ist da nichts. Kein Anruf. Keine Nachricht. Es geht ein paar Jahre so weiter. Jemand schreibt Texte; Leben sei nur Sterben auf Raten. 

Irgendwann verlieren wir uns alle aus den Augen. Wir machen jetzt andere Dinge, auch wenn wir immer noch Linsensuppe essen und Kaffee aus Supermärkten trinken. Mittlerweile gehören wir auch zu den Glücklichen, zu denjenigen, die nicht mehr wissen, dass sie Bereitschaftsdienst haben.

Als wir uns schon alle fast vergessen haben, wird einer von uns angerufen. Flugbereitschaft. Die Maschine ist bereits startklar, du setzt dich ins Taxi, hast keine Zeit, Tschüss zu sagen. 
Dann bist du weg. 

Und wir erinnern uns im gleichen Moment an die Realität, als sie für dich endet. 


r.i.p. mammü 









Mittwoch, 12. September 2018

Ein Teil der Party






Sprecher und Musik: Christoph Collenberg



Und wenn du traurig bist, sagst du, dann stell dir vor, draussen ist Krieg und nimm dein Fahrrad aus dem Keller. Fahr durch den Bombenhagel der Stadt und halte nicht an. Geh auf eine Party, die sie im Internet geteilt haben. Nimm einen Shot Campari und den letzten Schluck Rotwein, den du auf der Straße finden kannst, den, der übrig geblieben ist vom Sommer. 

Und ich fahre mit dem Fahrrad durch die Nacht des Krieges und am Anfang des Morgens stehen die Menschen und warten darauf, dass Weitergehen Revolution bedeutet und nur die Sonne erinnert sich noch daran, dass alles Gesehene auch Zukunft heisst und dass sie gestern auch schon da war. 










Donnerstag, 30. August 2018

Aus Versehen

Entschuldige, ich bin gerade in deine Realität geplatzt. Du warst am videochatten und hast aus Versehen nach oben geschaut. Da hast du mich erblickt, die dich angestarrt hat. Dein Fehler. Ich bin eine Hinterbliebene aus einem Universum, das noch aus räumlichen Werten bestand. Dessen Reste irgendwo hinter dem Ende deines Bildschirmrands kleben. Ich mess die Fläche meiner Interaktionen in Quadratmetern. Sobald du wieder wegschaust, ist die Störfrequenz behoben. 

Du kannst mich einfrieren, als Erinnerung, oder als Eiswürfel zusammen mit deinem Pina Colada trinken. Falls nicht, nehm ich dir das nicht übel. Ich werde weiter hier sitzen und als Relikt in die Luft starren. Ausser der Luft wird das niemand bemerken. Vielleicht freut sich die Luft über diese kleine Aufmerksamkeit. Und doch wird sie später zugeben, dass es ziemlich retro sei, in die Luft zu starren.

Gib mir noch ein bisschen Pina Colada. Danach werde ich wie du in schwarze Löcher starren und wir können uns endlich anschauen, ohne dass du das komisch findest. 




Mittwoch, 22. August 2018

Die Kassiererin


Du stehst an einem Ort an dem ein paar andere nur ungern stehen würden. 
An dir schlängeln sich Menschen vorbei, Tag für Tag, Minute für Minute. Sie tragen Gurken, Müslikartons, Schokolade. Du trägst die Würde des Unbezahlbaren. Vor dir die Anonymität, und du selbst jemand, der laut einer unausgesprochenen Formel noch viel anonymer sein sollte. Du ziehst die Gurken übers Band, auch die Müslikartons. Zahlen laufen an dir vorbei, rinnen das Band hinunter, verlaufen sich auf endlosen, schlangenförmigen Papier. Am Boden finden sie sich zusammen, ergeben eine Summe, eine von unzähligen, der Wind weht sie aus der Tür. 

Doch anstatt mit dem Grau der Kasse zu verschmilzen, brichst du es auf. Erzählst eine Geschichte, die bald zu einer nächsten wird, und auch dieser folgt eine weitere. Deine Geschichten kennen kein Ende, nur immer wieder einen neuen Anfang, und wie es dazu kommt, bleibt oft unersichtlich. Die Anonymität vor dir ist dein Spielball, dein Experiment, deine Herausforderung. Sie zieht wie eine Mauer vor dir auf, doch du bist dir sicher, dass sie eigentlich aus wimmelnden, vor Energie sprühenden Einzelteilen besteht. Schaffst du es, deinem Gegenüber auch nur einen Satz oder ein einziges Wort zu entlocken, hast du gewonnen und das, woran du geglaubt hast, wurde aufs Neue belegt. Die graue Masse vor dir zersplittert in Farbe und jede Farbe schubst deine Erzählung in eine neue Richtung, wird zum Ausgangspunkt für eine weitere. 

Und so rollen dicht neben den Gurken und Müslikartons Geschichten übers Band und die Kasse wird zum Schauplatz zuvor nie gehörter Kuriositäten. Und weiter unten, dort wo sich auf endlosen, schlangenförmigen Papier ein paar Zahlen zusammenfinden, da vermischen sich die gerade erst entstandenen Komödien, Dramen und Kuriositäten, lachen sich schlapp darüber, dass sie es tatsächlich geschafft haben, zu existieren. Ein Wind kommt vorbei und weht sie aus der Tür. 
Du sitzt weiter an der Kasse und zieht Gurken übers Band. 





Mittwoch, 11. Juli 2018

Abschlussarbeit.






Sprecher: Tim Abramczik



Die Tatsache, dass ich nach einem Abschluss suche, beinhaltet, dass ich bereits einen Anfang gefunden habe. Die allgemeine Auffassung darüber, dass der Anfang schwer ist, und sich alles andere schon irgendwie ergibt, kann ich nicht bestätigen. Denn mein Anfang hat sich schon zu Beginn irgendwo verloren, und jetzt bin ich ziemlich am Ende. Da ich nicht weiss, wie man etwas abschliesst, habe ich das Internet befragt. Immer wenn ich das Internet befrage, gibt es ein oder mehrere Haken an der Sache. Der Erste ist, dass das Internet nicht zurückfragt und damit keine Gesprächskultur entsteht. Der Zweite ist, dass das Internet auf meine Frage zu viele Antworten besitzt. Der Dritte ist, dass ich nach den Antworten des Internets noch mehr Fragen habe, und sich die Antwortmöglichkeiten damit so weit exponieren, dass sie räumlich gesehen eigentlich gar nicht mehr ins Internet hineinpassen dürften. 


Trotz all dieser Stolpersteine bin ich jedes mal wieder gewillt, das Internet zu fragen. Schließlich sind die meisten meiner Freunde zum Weisswurst essen verabredet, wenn ich dringende Fragen habe. Alle übrigen Freunde und Vestorbenen hängen gerade selbst im Internet ab und lassen sich Fragen beantworten. Ich klopfe leise an. Das Internet ist voll, aber nie besetzt. Burnout kennt es nur per Definition. Also frage ich heute, wie ich mit etwas abschließe. Das Internet ist zuverlässig und antwortet in 0,44 Sekunden . Als erstes möchte es, dass ich das Wort „abschließen“ in ca 34 Sprachen übersetze. Da ich nichts besseres zu tun habe, mache ich das. Nach den ersten vierundzwanzig Sprachen spüre ich tatsächlich den dringenden Wunsch, eine Sache nun ganz schnell zu Ende bringen zu wollen. Ich bin begeistert von diesem psychologischen Trick. Trotzdem breche ich ab. Ich bin antwortsuchend, nicht lösungsorientiert. 


Die nächste Antwort ist Selbstheilung. Ohne Kausalkettenkarussel gerate ich auf eine Seite, auf der folgende Schlagzeilen hintereinander anzutreffen sind: 1. Reisen, Handys, Gutscheine - gewinne jetzt tolle Preise! 2. Black Mambas: Wie eine Gruppe Frauen in Südafrika für das Leben von Nashörnern kämpft. 3. Warum ich mich für einen Samenspender entschieden habe. Ich frage mich, ob diese Dinge mit meinem Leben zusammen hängen, weil sie irgendwo in meinem von Google über mich erstellten Profil stehen und nun für immer erscheinen werden, ganz egal was ich eingebe. Falls nicht, muss ich mich aus Solidariät zu Google nun dringend um einen Samenspender bemühen. Ich möchte nicht, dass Google Minderwertigkeitskomplexe bekommt, nur weil es plötzlich nicht mehr seinen Attributen entspricht. Ich konzentriere mich wieder auf meinen Abschluss. Es gibt noch mehrere Antwortmöglichkeiten. Ich könnte eine emotionale Vergiftung haben, sagt das Internet. Ich mag die Antwort und klicke sie an. Nach circa drei Minuten Lesezeit bin ich sehr überzeugt davon, dass ich eine emotionale Vergiftung habe. 


Nach weiteren circa 800 Minuten habe ich Seite 27 bis 3005 im Internet durchgelesen. Ich bin jetzt 97 Jahre und kein Ende in Sicht. Ich setze mich im Schneidersitz auf den Boden und warte auf den Abspann. Es gibt keinen Abspann, flüstert das Internet mir zu. Als die Sonne untergeht, bin ich schon eingeschlafen. Ich träume von Testbildern und Sendeschluss. Ich träume von Scheidungen, Tod und Weltuntergang.  Ich träume. Ich träume. Ich träume. Als ich aufwache, habe ich alles nur geträumt. Die emotionale Vergiftung ist immer noch da. Genauso wie das Internet. Ich und das Internet, wir scheinen unglaublich verwandt miteinander zu sein. Ich suche nach ein paar abschließenden Worten. Ich werde diesen Text immer weiter schreiben. Ich werde diesen Text immer weiter schreiben. Ich werde diesen Text immer weiter schreiben.