Samstag, 27. Oktober 2018

Dortmund. Das Steinschwein und der Jüngling unter der Zeche.



Ich wollte eigentlich nach Münster. Aber dafür war ich zu spät dran. Ich nehme einfach den nächsten Zug. Der fährt nach Dortmund. 

In Dortmund ist es ein bisschen so wie in Usbekistan. Es gibt jede Menge Bankautomaten, die aber alle kein Geld ausspucken. Der Bankautomat denkt, ich hätte meine Karte falsch herum in ihn hinein gesteckt. Dass ich schon einiges an Erfahrung in diesem Gebiet mitbringe, glaubt er mir nicht. Ich möchte ihm gerne mein Abizeugnis oder irgendetwas anderes zeigen, was noch nie jemand sehen wollte. Ich habe noch 1 Euro 32 in meiner Hosentasche und eine kleine Taschenlampe. Da ich als Touristin in Dortmund ein paar wirtschaftliche Pflichten zu erfüllen habe, investiere ich das Geld in Ein-Euro-Eis. Es ist jetzt Herbst aber in Dortmund ist die Hölle los. Es gibt eine Einkaufsstraße. Wenn die Deutschen aussterben, dann nicht hier. Vielleicht in Soest oder in Weilerswist. Die Geburtenrate im Dortmunder Primark ist jedenfalls hoch. Primark wirft Menschen. Und atmet sie danach wieder ein. Ich möchte nicht in einem Dortmunder Primark reinkarniert werden. Ich rufe bei der zugehörigen Stelle für pränatale Angelegenheiten an um das alles zu regeln. Eine freundliche Mitarbeiterin am anderen Ende der Leitung weist mich darauf hin, dass ich schon mitten drin sei im Leben und sie aus diesem Grund für mich nicht mehr zuständig sei. Bei weiteren Fragen solle ich mich ab jetzt an Finanzämter oder Elektronikmärkte wenden. Ich fühle mich hilflos, aber erwachsen. Ich glaube das gehört zusammen. Ich hätte gerne noch ein Ein-Euro-Eis. 

Ich entfliehe der Straße des Todes und steige in eine Bahn ein. Sie fährt ein paar Stationen unterirdisch, dann zischt sie wie eine Rakete in die Stratosphäre der Dortmunder Zechennostalgik empor. Ich habe mir vorgenommen, mit niemandem zu sprechen. Ausser mit diesem braungelockten Jüngling vor mir, der sich gerade eine Kippe dreht. Er ist der einzige weit und breit. Ich laufe erst einmal an ihm vorbei, bevor ich ihn anquatsche, denn ich bin schüchtern. Dann frage ich ihn, ob das hinter ihm eine Zeche sei. Er sagt ja. Und dreht seine Kippe. Ich frage ihn noch irgendwas, denn ich kann ja jetzt nicht einfach gehen, wo wir schon so mitten ins Gespräch vertieft sind. Er sagt noch mal ja. Meine Güte, dieses Gespräch ist sehr eifrig. Schon wieder bin ich dran. Mir fällt langsam nichts mehr ein. Aber unhöflich sein ist auch blöd. Ich frage noch etwas. Er schaut weiter auf seine Kippe. Plötzlich blickt er mich an, zeigt unerwartet auf den Turm hinter ihm und fragt: „Möchten Sie da hoch?“ Er hat mich gesiezt. Das macht man hier so in Dortmund. Vielleicht gehört er mit der 1984 stillgelegten Zeche hinter ihm und den zwei Quadratmetern um ihn herum aber auch einem ganz anderen Kulturkreis an. Noch vor einer hundertstel Sekunde bin ich davon ausgegangen, dass der Braungelockte und ich miteinander alt hätten werden können. Jetzt weiss ich, dass das nicht geht, weil ich bereits alt bin. Ich leuchte ihm ein bisschen mit der kleinen Taschenlampe in die Augen, nur so zum Spaß. Er fragt: „Warum tun Sie das?“ Obwohl ich Dinge tue, die man als Zeichen unserer Vertrautheit untereinander interpretieren könnte, siezt er mich noch immer. Ich verstehe, dass es mit uns vorbei ist, bevor es angefangen hat und gehe. 

Ich gelange in ein totes Viertel. Hier gibt es verrammelte, verlassene Bäckereien, Metzgereien, Kioske. Mehrere Waschmaschinen, die am Straßenrand auf ihren Lebensabend blicken. Drei schiefe Banken, davor Müll. Das einzige, was noch relativ lebendig geblieben ist, ist ein Steinschwein. Ich setze mich mit dem Steinschwein in den Schneidersitz. Da das Steinschwein nicht so gut im Schneidersitz sitzen kann, kippt es um. Ich sitze neben dem umgekippten Steinschwein im Schneidersitz und blicke zurück auf meinen Lebensabend in Dortmund. Es war sehr schön. Jetzt ist es Zeit zu gehen. 






    Foto: die vierte Bank
 Protagonist*in: der siebte Wagon




Dienstag, 2. Oktober 2018

herbstanfang

herbstanfang, 
flüstern die bäume und
dachten es fallen 
nur ein paar blätter,
wie immer. 
erinnerung daran, wie du strahlst.
wir stehen in der küche und sind uns einig darüber dass die 
vegane suppe hier sehr gut ist.
du erzählst von deiner reise.
verwundert, dass wir uns hier treffen.
hier, warum hier?
achso ja klar, du kennst den und ich kenn sie und überhaupt.
völlig logisch, dass wir uns hier treffen. 
und weisst du noch?
ja klar weiss ich.
komm wir schauen uns um,
gucken ob was passiert 
fernab der suppe.
damit irgendwann viel später 
wieder alles so ist wie am anfang: 
weisst du noch?
du, lachend neben mir mit dem weinglas in der hand,
hey willst du auch?
sagst du 
und kurz denke ich darüber nach,
wie witzig es wäre sich jetzt hier mit dir 
zu betrinken
wenn ich nicht.. dies und das und überhaupt. 
aber wir sehen uns bald
bestimmt
sagen wir
zueinander
und glauben daran
wie man das so macht
im leben
wenn nichts dazwischen kommt. 

r.i.p. steffen