Donnerstag, 11. Mai 2017

OMG, YMMD!! -all inclusive Urlaub kurz vor Afrika-

Ich frag mich, wie ich hierher gekommen bin. Es regnet nicht, es gibt immer was zu essen, der Alkohol ist umsonst. Es gibt drei Möglichkeiten: 
1. Möglichkeit: Ich bin gar nicht ich, sondern eine in Rente gegangene Glücksradfee und an diesem Ort verbringe ich meinen Lebensabend. 
2. Möglichkeit: Die Welt hat sich endlich auch mal an unsere Diensleisungsgesellschaft angepasst und gibt alles. 
3. Möglichkeit: Ich bin gestorben. Ich bin im Himmel. Dies ist das Paradies. Gott hat meine vielen kleinen Notlügen kurz abgewunken und mich ins Land geschickt, wo Bier und Wodka fließen. Er macht tatsächlich das, was alle von ihm erwarten: Gebete erhören. Wahnsinn! 
„Nicht weiter drüber nachdenken!“ flüstert etwas. Das muss Gott gewesen sein. Jesus, er hat gerade persönlich mit mir gesprochen! Entspannt lehne ich mich zurück und hör dem Meer zu. Denn hier gibts anscheinend Meer im Himmel. Wodkameer. Unglaublich! Das muss ebenfalls Gott gewesen sein. OMG, you made my day!! 


Ich lass die Augen zu, denn ansonsten blendet’s heftig. Liegt wahrscheinlich daran, dass hier alle Kollegen um mich herum einen Heiligenschein tragen. Hab meinen ein wenig herunter gedimmt, weil ich nicht ganz so arrogant erscheinen möchte wie die anderen hier. Trotzdem, wenn ich’s mir mal so wirklich überlege: Womöglich gibt’s schon nen Grund, warum ich’s hierhin geschafft hab. Hab mich halt echt gut benommen auf der Erde. Ab und zu abgepacktes Biohack gekauft. Immer nur Kleinigkeiten geklaut. Kaugummis, Pappbecher, Käse, Klamotten. Das, was man halt so braucht. Nie mehr. Oft Kondome benutzt und so den weitaus höheren Plastikverbrauch an Pampers vermieden. Kakteen regelmäßig gegossen. Müll getrennt. An Weihnachten nur die eigenen Geschenke geöffnet. Meine Güte, hab nie so drüber nachgedacht. Aber Gott hat Recht. 
Ich hab’s mir echt verdient. Ich mach den Mund auf und warte auf noch mehr Wodka. Aber da kommt nix. Ebbe am Wodkameer. 


Dafür kratzt etwas an meinem Arm. Ich kratz zurück, doch es geht nicht weg. In Anbetracht der Tatsache, dass ich eh bald mal nachschauen muss, welcher Apostel hier die plötzliche Sperrstunde zu verantworten hat, fang ich an zu blinzeln. Immer noch hell alles. Dazwischen Palmenblätter. Türkises Glitzern. Ich liege. Gerade der letzte Punkt gefällt mir sehr gut. Doch dann noch mal: Kratzen am Handgelenk. Handgelenk ist irgendwie ziemlich viel Körper dafür, dass ich eigentlich schon tot bin. Ich guck runter. Da hängt ein Bändchen um meinen Arm. Aus Plastik. Das mit dem Plastik ist echt beeindruckender als so ein privater Heiligenschein. Plastik hat nicht nur den Weg aus dem Überrraschungsei ins Weltmeer geschafft, sondern danach offensichtlich auch noch die Wiederauferstehung und hängt jetzt hier oben im Paradies ab. Wolken, ausgelegt mit PVC-Böden, in Alufolie gewickeltes Abendmahl, Heiligenscheine aus LED’s. Statt aus dem Kelch schlürfen alle Wein aus Tüten und die von Jesus vermehrten Fische werden in Konservierungsmittel eingelegt, danach sorgsam in Tupperware gepackt. Die Zeiten, in denen man fünftausend Fische noch sofort essen wollte, sind eventuell vorbei. Schließlich hat sich das Nahrungsangebot erweitert, es gibt auch noch Ü-Eier und .. genau! 


A pro pos Wodka, ich fühl mich hier immer noch so ziemlich alleine. „Das brauchst du nicht!“, höre ich ein erneutes Flüstern. Gott scheint echt gesprächig zu sein. „Ich bin nicht Gott!“. Und kann Gedanken lesen. Spricht doch wieder für Gott. „Nein!“. Na gut. „Wer bist du denn?“, flüster ich zurück. „Das Bändchen an deinem Arm!“. Das versteh ich nicht. „Durch mich bekommst du alles, was du brauchst!“. Ich reiss die Augen auf. Vor mir noch immer Palmenblätter und Meer. Noch mehr Menschen, die liegen. Genau wie ich. Alle haben die Münder genau soweit geöffnet, dass ein dünner pinker Strohhalm hindurch passt. Am Ende des Strohhalms ein Glas. Darin: Tequila Sunrise. Und alle haben ein Stück Plastik um den Arm. Allmählich versteh ich. Ich bin noch nicht ganz tot. Nur fast ins Koma gesoffen. Gott ist ziemlich entfernt von mir, sonst müsst ich jetzt nicht aufstehen für den Wodka. Zwischen den Liegen gibts noch eine weitere Horde von Menschen, die im Vergleich zu den Übrigen tatsächlich noch ziemlich lebendig wirken. Sie tragen orangefarbene T-Shirts und scheinen an einer Mischung aus Parkinson und Muskelzucken zu leiden. Ihre Aufgabe ist es, Komapatienten mit Streckübungen zum Leben zu erwecken. Liegt ziemlich auf der Hand, dass das nicht funktioniert. Als auch die orangenen Menschen das bemerken, fangen sie an zu schreien. Ob ich aus Deutschland käme. Oder aus England. Ehrlich gesagt, hab ich das vergessen. 


Das Bändchen und ich, wir werden beste Freunde und gemeinsam ziehen wir an die Theke. Es gibt mir einen nach dem anderen aus und wenn es sehr spät ist, tanze ich für es oder singe Karaoke. Das gefällt ihm und es gibt mir noch mehr aus. Danach leg ich mich auf die Theke und schlafe. Das Bändchen ist immer bei mir. Ich glaube, es ist eine sehr enge und inspirierende Freundschaft. 


Durch das Bändchen lerne ich so gut wie alle meine Freunde hier kennen: den Tequila Sunrise, den Daiquirry Strawberry und den Automatenkaffee. Früher habe ich Espresso mit Milchschaum getrunken, doch diese Gier nach gutem Geschmack bin ich endlich losgeworden. Das Bändchen hat mir gezeigt: Guter Geschmack ist was für Langweiler, die Dostojewski lesen. Was die Menschheit wirklich braucht, ist viel, und sonst nichts. 
Ich entscheide mich für viel Tequila Sunrise. Neben dem Bändchen ist der Tequila mein bester Freund geworden und kommt nun immer öfter vorbei. In diesen Stunden reden er, das Bändchen und ich gemeinsam über das Leben. Das Bändchen und ich reden lange darüber, das Leben des Tequilas ist schnell zu Ende. Doch auch mit dem Tequila ist es wie mit dem Plastik: Er hat es raus mit der Wiederauferstehung. 


So vergeht Tag um Tag. Eines Abends frage ich das Bändchen, wo ich hier eigentlich bin. „Du bist auf einer Insel.“, sagt es. „auf einer Insel im Meer.“ Oh, das ist schön“, flüster ich. „Sehen wir uns morgen diese Insel einmal an?“. „Nein“, sagt das Bändchen. „und jetzt trink noch einen.“  Ich nicke stumm, kipp all unsere Freunde runter und fall auf den Boden. Das Bändchen ist zum Glück immer bei mir. Wenn ich falle, fällt es auch. Wahrscheinlich würde es auch ohne Befestigung sehr an mir hängen, dank all es Tequilas, der zwischen uns klebt. „Woher kannst du eigentlich so gut Deutsch?“, frage ich es, während ich meinen Kopf in die Fließen kuschel. Jetzt lacht es. „Deutsch ist Amtssprache.“ „Achso!“, lalle ich. „es ist eine deutsche Insel!“. „Nein, eine spanische!“. Logik war noch nie meine Stärke. Ich küsse das Bändchen kurz auf seine glatte, silbrige Haut und rülpse. Dann schlafe ich für immer ein.






Foto: LeeZa Nail
Bildbearbeitung: Baeggi Haferflocke