Mittwoch, 22. August 2018

Die Kassiererin


Du stehst an einem Ort an dem ein paar andere nur ungern stehen würden. 
An dir schlängeln sich Menschen vorbei, Tag für Tag, Minute für Minute. Sie tragen Gurken, Müslikartons, Schokolade. Du trägst die Würde des Unbezahlbaren. Vor dir die Anonymität, und du selbst jemand, der laut einer unausgesprochenen Formel noch viel anonymer sein sollte. Du ziehst die Gurken übers Band, auch die Müslikartons. Zahlen laufen an dir vorbei, rinnen das Band hinunter, verlaufen sich auf endlosen, schlangenförmigen Papier. Am Boden finden sie sich zusammen, ergeben eine Summe, eine von unzähligen, der Wind weht sie aus der Tür. 

Doch anstatt mit dem Grau der Kasse zu verschmilzen, brichst du es auf. Erzählst eine Geschichte, die bald zu einer nächsten wird, und auch dieser folgt eine weitere. Deine Geschichten kennen kein Ende, nur immer wieder einen neuen Anfang, und wie es dazu kommt, bleibt oft unersichtlich. Die Anonymität vor dir ist dein Spielball, dein Experiment, deine Herausforderung. Sie zieht wie eine Mauer vor dir auf, doch du bist dir sicher, dass sie eigentlich aus wimmelnden, vor Energie sprühenden Einzelteilen besteht. Schaffst du es, deinem Gegenüber auch nur einen Satz oder ein einziges Wort zu entlocken, hast du gewonnen und das, woran du geglaubt hast, wurde aufs Neue belegt. Die graue Masse vor dir zersplittert in Farbe und jede Farbe schubst deine Erzählung in eine neue Richtung, wird zum Ausgangspunkt für eine weitere. 

Und so rollen dicht neben den Gurken und Müslikartons Geschichten übers Band und die Kasse wird zum Schauplatz zuvor nie gehörter Kuriositäten. Und weiter unten, dort wo sich auf endlosen, schlangenförmigen Papier ein paar Zahlen zusammenfinden, da vermischen sich die gerade erst entstandenen Komödien, Dramen und Kuriositäten, lachen sich schlapp darüber, dass sie es tatsächlich geschafft haben, zu existieren. Ein Wind kommt vorbei und weht sie aus der Tür. 
Du sitzt weiter an der Kasse und zieht Gurken übers Band. 





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